Wasserfall

Er erwidert meinen Kuss, doch als er meine Tränen spürt , spannt er sich an. Plötzlich macht er sich los und tritt zurück. Erst will sich das Gefühl der Zurückweisung in mir breit machen, doch dann nehme ich Brix wahr. Lucian wendet sich ihm ruckartig zu, beinahe zähnefletschend und knurrend.
Schnell wische ich die Tränen weg, trete zu ihm und lege ihm die Hand auf den Unterarm.
Mein Blick heftet sich wachsam auf Brix. Er sieht wütend aus, doch da meine Geduld sowieso nicht mehr überragend ist geht mir jede Vorsicht in Bezug auf mein Verhalten abhanden.
"Was willst du, Brix", fauche ich. Er hätte sich keinen unpassenderen Zeitpunkt für sein Auftauchen suchen können.

Brix
Lucian knurrte. Sichtlich war er nicht begeistert, den Jungen hier zu sehen. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Auch das Mädchen fauchte. Wäre Brix nicht so wütend gewesen, hätte er gelächelt.
"Ich will das, was mir gehört, zurück haben. Mehr nicht."
Das linke Auge funkelte wütend.

"Schon gut, Lucian. Ich glaube ich weiß, was er will."
Ich gehe auf Brix zu, auch wenn man das als lebensmüde bezeichnen kann.
"Es geht um diese Fotografie, stimmts? Ich habe sie nicht. Damian hatte sie, als ich gegangen bin. Aber was ich habe sind einige Fragen. Wer ist das Mädchen darauf, Brix? Wer ist sie, dass sie dir so viel bedeutet. Man sieht ja eine gewisse Ähnlichkeit. Ist sie deine Schwester?", frage ich mit gefährlich leiser Stimme.
"Weich mir bloß nicht aus. Wag es dich gar nicht erst."

Brix
Er ging nicht auf Lucian ein. Als das Mädchen auf ihn zuging, nannte sie einen Namen. Damian. Kannte er nicht. Brix musste sich zurückhalten, um ihr nicht an die Gurgel zu gehen und setzte einen ruhigen Gesichtsausdruck auf.
"Das geht dich nichts an. Dieses Mädchen bedeutet mir nichts. Oder kannst du dir vorstellen, dass jemand wie ich so etwas wie Gefühle besitzt?"
Brix sah sie an und lächelte. Irgendwie war das gerade interessant. Wie würde sie reagieren? Viele würden Brix für so etwas eine kleben. Vielleicht war ihre Beherrschung besser? Oder auch nicht. Denn Brix provozierte immer. Das war seine Folterart.

"Damian sagt dir nichts stimmts. Er war einer der Jungs von heute morgen. Und dass sie dir gar nichts bedeutet, glaube ich nicht, obwohl ich dir keine sonderlichen Gefühle zusprechen werde, da hast du recht. Für mich wirst immer ein Mörder sein.",fauche ich wieder. Knapp eineinhalb Meter vor ihm habe ich Halt gemacht. Den Blick in sein Gesicht meide ich.
Ich weiß, dass er mich provozieren will, doch ich versuche nicht darauf einzugehen. es würde ihm bloß Genugtuung verschaffen.
Was Lucian hinter mir tut weiß ich nicht, doch ich traue mich doch nicht so ganz mich von Brix abzuwenden.

Brix
"Du widersprichst dir selbst, meine Liebe. Wenn du mir keine Gefühle zutraust, warum sollte ich dann etwas für dieses Mädchen fühlen?", fragte Brix wditerhin mit einem wirklich provozierend freundlichen Gesichtsausdruck.
"Der Junge? Da waren zwei. Erinnerst du dich? Fetals Freund und der dunkelhaarige."

Sein Gesichtsausdruck ist übertrieben freundlich.
"Mag sein du Mistkerl. Aber wer ist sie?", frage ich.
Lucian hinter mir knurrt leise. Ihm gefällt es nicht.
"Ganz ruhig, Lucian. Es ist noch nichts passiert.", versuche ich ihn zu beschwichtigen.
Langsam laufe ich rückwärts, bis ich Lucian direkt hinter mir spüre.
"Ich rede von dem dunkelhaarigen Jungen. Er hat das Foto aus deiner Tasche geholt. Er hat es zuletzt gehabt. Also lass mich da raus. Ich kann deine Sorgen nicht auch noch gebrauchen.", zische ich wieder.

Brix
Er sah Lucian an.
"Ich kann reden, wie ich will. Wenn dir das nicht passt, versuch mich doch, zum Schweigen zu bringen."
Brix ließ seinen Blick durch die Gegend schweifen, ehe er das Mädchen wieder ansah.
"Man klaut nicht. Auch wenn ich in euren Augen ein Mistkerl bin. Schon mal was von Manieren gehört? Wohl eher nicht.Und ich sage es dir nochmal. Meine SSachen gehen dich nichts an. Vielleicht ist es meine Vorgesetzte."
Er lächelte amüsiert. Das Mädchen hatte sich erstaunlich unter Kontrolle.

"Meine Manieren sind ausgezeichnet im krassen Gegensatz zu deinen. Ich hab es nicht genommen. Wie gesagt, es war Damian. Kläre das bitte mit ihm und nicht mit mir.", sage ich durch zusammengebissene Zähne.
Lucian legt seine seine Arme um meine Taille und ich lehne mich gegen ihn.
"Lass es sein,mi querida", flüstere ich. "Er ist es doch nicht wert."
Mittlerweile sind es nur noch Lucians Arme, die mich davon abhalten, auf Brix los zugehen. Meine Selbstbeherrschung ist bis zum äußersten strapaziert, meine Sinne geschärft.

Brix
"Ich habe sehr wohl Manieren. Aber... vielleicht seht ihr sie nicht. Leg los, Lucian."
Brix lächelte weiter, aber wenn man ganz genau hinsah, konnte man in seinen Augen Schmerz erkennen. Einen riesigen Schmerz. Jedoch war er gut versteckt.

Brix
"Nicht wichtig? Das glaubst auch nur du."
Nun sahmanden Schmerz richtig und Brix schloss die Augen.
"Du weißt nicht, wie sich sowas anfühlt..."
Der Junge drehte sich um. Hatte er gerade tatsächlich Gefühle durchsickern lassen? Mit schnellen Schritten ging er und wollte nur noch alles verfessen. Aber es ging nicht. Natürlich. Warum auch?
Zur Bibliothek

Während Brix es weiter durch Provokation versucht, bleibt Lucian beinahe gelassen. Er zieht mich ein Stück näher zu sich und legt seine Wange an meine. Das tut irgendwie gut.
"Es geht ihm um das Foto einer jungen Frau. Damian hat es heute morgen in seiner Tasche gefunden." ,erkläre ich Lucian.
"Ich weiß aber nicht, was daraus geworden ist. Ich bin zum Unterricht gegangen. Aber das scheint dieser Scumbag da ja nicht zu begreifen."
Ich habe die Schnauze ja so voll.Irgendwie muss man den doch loswerden können.Und dabei ist er nicht mal unser größtes Problem.
Für einen kurzen Moment bin ich von meinen eigenen Gedanken entsetzt, doch dann wird mir bewusst, dass es nur meine Nerven  sind,die mich so denken lassen. Allerdings kann ich nicht mehr lange dafür garantieren, dass ich Brix nicht doch schlage. Genau in diesem Moment dreht er sich mit ein paar letzten Worten weg und geht.
Erleichtert stoße ich die Luft aus.

"Ich weiß.Entschuldige. Ich unterschätze ihn auch gar nicht. Im Gegenteil, ich fürchte ihn beinahe so sehr, wie gewisse andere Wesen, aber manchmal da geht mein Temprament einfach mit mir durch. Er ist ein seltsamer Typ. Darf ich eigentlich mal fragen, warum du so gut über ihn Bescheid weißt? Du musst es mir nicht sagen, aber es würde mich einfach mal interessieren. ", sage ich leise.
Ich hab einfach keine Kraft mehr. Es ist, als hätte der Tag meine Reserven bereits jetzt schon aufgebraucht. Sollte ich mich heute über irgendwas noch übermäßig aufregen, frage ich mich ernsthaft woher ich diese Kraft noch ziehe. Wir haben schließlich erst Mittag und ich habe das Gefühl drei Tage wach zu sein.
Müde kuschle ich mich noch etwas mehr an Lucian.

"Und ich will dich nicht verlieren.", erwidere ich.
Dann lausche ich fasziniert seiner Geschichte. Sie ist schockierend, beängstigend.
Das Arbeitslager also. Eine grausame Zeit. Ich habe viel darüber gelesen. Das Geschichtsverständnis meiner Eltern ist nämlich furchtbar. Ich merke, dass es ihm nicht behagt und deswegen frage ich nicht weiter nach, als er geendet hat. Ich stehe immer noch in seiner Umarmung doch ich hebe die Arme, sodass meine Finger sanft über seine Arme streichen.
"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Schließlich habe ich nachgefragt. Ich konnte mir diese Zeit nie wirklich vorstellen. Du hast Glück, gehabt, dass du diese schreckliche Zeit überlebt hast.",flüstere ich leise.
Ich versuche mich nicht weiter aufzuregen, denn immerhin hat er es überlebt und ist jetzt hier bei mir. Nur Brix als ständige Erinnerung an diese Zeit stelle ich mir als entsetzlich störend für ihn vor.

Langsam lässt er mich los. Ich verstehe ihn jetzt besser. Verstehe, warum er Brix so verabscheut.
Ich drehe mich zu ihm um und sehe, wie er sich zum Wasserfall bewegt. Er ist seine Gedanken versunken, auch wenn er mit mir redet.
"Ich glaube, er ist sich zum ersten Mal nicht sicher, ob er den Auftrag wirklich zu Ende bringen soll. Einerseits will er deinen Tod, andererseits scheint da ein kleiner Teil zu sein, der sich dagegen wehrt. Vielleicht, weil er dich schon so lange jagt. Er ist unsicher.", erwidere ich auf seine Frage.
Er ist stehen geblieben und hat sich mir wieder zugewandt. Sein Blick deutet schon wieder eine Entschuldigung an. Abwehrend hebe ich die Hände:"Sag jetzt nicht, dass es dir leid tut. Du hast nichts falsch gemacht."
Ich trete neben ihn und schaue auf das Wasser, das so herrlich im Sonnenlicht glitzert.
"Das hier ist es allemal wert. Das wird es immer sein. "

"Vielleicht... Ich weiß es nicht, Lucian. Er ist schwer zu durchschauen. Er ist ein Rätsel für mich. Sein Verhalten folgt keinem Muster."
Ich spüre seinen Blick auf mir, doch ich lasse meinen auf dem kleinen See. Auf seine Frage muss ich lächeln.
"Vom Internat. Den Strapazen. Das ist es alles wert, wenn ich dafür dich an meiner Seite habe. Das lässt sich mit nichts messen."
Ich spüre, wie seine Hand sacht meinen Arm berührt und ich greife automatisch nach seiner Hand um meine Finger mit seinen zu verschränken.
Ich versuche ein Gähnen zu unterdrücken, doch irgendwie entwischt es doch meiner Kehle.
"Herrje. Ich muss mir später unbedingt einen Kaffee besorgen.", murmle ich mehr zu mir selbst. Die Folgen der kurzen Nacht machen sich stärker bemerkbar, wie gedacht.